Zum Inhalt fortfahren


Monatsspruch März 2011 – Bei Gott allein kommt meine Seele zur Ruhe; denn von ihm kommt meine Hoffnung. (Psalm 62,6)

Erschienen in Neues aus den Ortsvereinen von Heinrich Tischner 28 Februar, 2011

Liebe Leserin, lieber Leser,

endlich zur Ruhe kommen, das wäre ein Balsam für unsre gehetzten Seelen. Aber nein, morgens rappelt der Wecker und treibt uns aus den Federn. Viel zu spät stehn wir auf, schnell fertiggemacht, einen Happen gegessen, falls die Zeit noch reicht, und schnell, schnell fort zur Arbeit. Und so gehetzt geht's den ganzen Tag lang. Was nützen da ein paar Minuten "stille Zeit" am Morgen oder am Abend?

Mal ehrlich: Diese paar Minuten bringen herzlich wenig, wenn sie nur ein Programmpunkt unter anderen sind, ein Eintrag im Terminkalender, eine Pflichtübung, die wir schnell absolvieren, um den nächsten Termin wahrzunehmen, der wichtiger ist. Aber sie bringen unendlich viel, wenn uns an der Begegnung mit Gott etwas liegt. "Bei Gott allein kommt meine Seele zur Ruhe." Ein paar Minuten kuscheln bei Gott. Das bringt's.

Jetzt aber wollen wir nicht gleich wieder zum nächsten Tagesordnungspunkt übergehen, sondern uns noch ein bisschen mit dem Text beschäftigen. Ich war selbst überrascht, als ich diesen Spruch aus der Einheitsübersetzung las. Ich wusste nicht, wie ich ihn einordnen sollte, die Formulierung war mir überhaupt nicht bekannt. Also habe ich in der Lutherübersetzung nachgesehen. Da steht: "Aber sei nur stille zu Gott, meine Seele; denn er ist meine Hoffnung." Das klingt schon vertrauter. Dann habe ich dem Psalm die Ehre angetan, ihn ganz zu lesen. Er ist geschrieben für einen gehetzten Menschen. Nicht für einen wie wir, der unter Termindruck steht, sondern für einen, der gejagt wird wie ein Tier bei der Hetzjagd: "Wie lange stellt ihr alle einem nach, wollt alle ihn morden?" (Vers 4) - unvorstellbar für uns, aber das gibt's auch heute noch. Gegenüber solchen scheinheiligen Mitmenschen, die ihm übel wollen, "mit dem Mund segnen und mit dem Herzen fluchen", nimmt der Beter Zuflucht zu Gott.

"Gott ist meine Zuflucht", lesen wir in den folgenden Versen. Das war ganz wörtlich gemeint: Wie die Berghöhle, in die sich David vor den Verfolgungen Sauls zurückzog (z.B. 1. Samuel 22,1), so war der Tempel in der antiken Welt eine Freistatt für unschuldig Verfolgte. Sie fanden dort Asyl. Ein geistliches Gericht prüfte den Fall und entschied, ob der Bittsteller bleiben durfte.

Merkwürdig ist auch die Formulierung "sei stille zu Gott". An anderen Stellen werden wir ermuntert, Gott unser Herz auszuschütten. Hier genau das Gegenteil: "Verstumme vor Gott." Hör jetzt auf zu jammern oder zu plappern, sondern halt den Mund und lass Gott auch mal was sagen.

Auch das war ganz wörtlich gemeint. Das sehen wir in der Geschichte von Hanna (1. Samuel 1): Sie trägt im Tempel flüsternd ihre Klage über ihre Kinderlosigkeit vor und muss das dem Priester Eli noch einmal laut sagen. Der teilt ihr den Bescheid Gottes mit: "Gott wird dir deinen Wunsch erfüllen." Das liest sich so, als sei das alles so hintereinander geschehen, wie es erzählt wird. Dann hätte der Priester bloß einen passenden frommen Spruch zitiert. Normalerweise nahm er sich für die Antwort Zeit und musste die Sache erst überschlafen. Erst am Morgen erfuhr die Bittstellerin die Zusage oder Ablehnung. Bis dahin hieß es schweigen und warten. Wie der Beter in Monatsspruch.

Warten kann aufreibend sein. Wir kennen die Gedanken, die uns quälen, wenn wir auf einen Bescheid warten, des Lehrers vor der Zeugnisausgabe, einer Behörde, des Arztes. Auch da bleibt uns nichts anderes als schweigend auszuharren. Dauernd nachfragen bringt nichts. Bei Gott kann es uns ähnlich gehen. Er lässt uns warten. Schon das Sprichwort weiß: "Gottes Mühlen mahlen langsam, mahlen aber trefflich fein." Wer nur groben Schrot haben wollte, wurde beim Müller schnell bedient. Feinmehl dauerte länger.

In solchen Zeiten der Unsicherheit und des Wartens ist es gut, wenn wir innerlich zur Ruhe kommen und unser unruhiges Herz zur Ruhe bringen. Etwa dadurch, dass wir diesen Psalm und andere beten – nicht in dem Sinn, dass wir Gott den Kopf voll jammern, sondern als Meditationsübung. Durch Singen oder lautes Psalmbeten wenden wir unbewusst eine hilfreiche Atemtechnik an, die uns tatsächlich zur Ruhe kommen lässt. Und uns Kopf und Herz mit guten Gedanken füllt. Probiert's mal aus.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner