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Monatsspruch Juni 2011 – Einer teilt reichlich aus und hat immer mehr; ein andrer kargt, wo er nicht soll, und wird doch ärmer. (Sprüche 11,24)

Erschienen in Neues aus den Ortsvereinen von Heinrich Tischner 31 Mai, 2011

Liebe Leserin, lieber Leser,

meine Großtante hatte nur eine kleine Rente. Zum Leben hat's kaum gereicht. Aber sie hatte immer etwas für andere übrig. Sie hatte dadurch zwar nicht "immer mehr" Geld, wie der Monatsspruch behauptet, sondern weniger. Wir werden aber durch Teilen nicht unglücklich, sondern glücklich: "Willst du glücklich sein im Leben, trage bei zu andrer Glück. Denn die Freude, die wir geben, kehrt ins eigne Herz zurück."

Wir sagen: Wer nur 500 € im Monat verdient, ist arm. Wer mehr als 10.000 verdient, ist reich. Aber kann man Armut und Reichtum in Zahlen definieren? Man müsste annehmen, dass der Arme mit 500 € nicht genug hat und der Reiche mehr, als er braucht. Oft aber ist es umgekehrt: Da ist einer "reich", weil er nicht genug kriegen kann und wie besessen hinter dem Geld her ist. Wer aber wie meine Großtante zwar nicht viel verdient, aber für andere was übrig hat, der hat mehr als genug und kann deswegen nicht arm sein. Reich ist vielmehr, wer was übrig hat, und arm, wer nicht genug kriegen kann.

In den USA sollen einige Superreiche vereinbart haben, einen großen Teil ihres Vermögens für gemeinnützige Zwecke zu stiften. Das ist vernünftig, denn was sollen sie sonst mit ihrem Geld machen? Verjubeln könnten es nur Leute, die nicht mit Geld umzugehen wissen, aber die werden nicht superreich. Und Geld anlegen, damit es sich vermehrt, hat nicht mehr viel Sinn, wenn man schon einige Milliarden hat. Also ist es doch am besten, das Geld für einen guten Zweck zu spenden. Und nebenbei: Eine noble Spende erhöht das Ansehen und den Ruhm des Spenders. "Tu Gutes und rede darüber." Stimmt's?

Stimmt nicht. Denn Jesus hat uns andere Regeln gelehrt: "Wenn du spendest, dann lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut" (Matthäus 6,3). Wir tun das Gute, weil es gut ist, und nicht zur Image-Pflege, "damit wir von den Leuten gelobt werden." Jesus hat vom Reichen Jüngling gefordert: "Verkaufe alles, was du hast, gib's den Armen und werde mein Jünger" (Matthäus 19,16-26) und nicht "verschenke 90% deiner Milliarden" – da blieben ihm immer noch zig Millionen. Sondern verzichte auf alle materielle Sicherheit und liefere dich ganz Gott aus. Der arme Jüngling! Ich kann ihn verstehen. Er hatte wohl auch seine sozialen Verpflichtungen. Soll er sein Personal auf die Straße setzen? Aufgeben kostet Arbeitsplätze. Keine Arbeit – kein Einkommen. Dann würde er noch mehr Leute arm machen, die dann auf Almosen angewiesen wären. Also, ich kann das nicht, alles hergeben. Als Theologe könnte ich das ja anders auslegen, wegdiskutieren, mich auf die christliche Freiheit berufen und wider die Gesetzlichkeit zu Felde ziehen. Das tue ich aber nicht, sondern ich nehme Jesu Forderung ernst. Ich lasse sie als "Stachel in meinem Fleisch". Sie hilft mir immer wieder auf das zu besinnen, was wirklich wichtig ist.

Spenden und stiften ist gut. Jesus hat uns am Beispiel vom "Scherflein der Witwe" (Markus 12,41-44) gezeigt, dass es nicht auf die Summe, sondern auf den Prozentsatz ankommt: "Die Reichen geben von ihrem Reichtum" und behalten immer noch genug. "Die Witwe aber hat alles gegeben", ihr letztes Scherflein, eine kleine Münze.

Manche fromme Kreise erwarten, dass ihre Mitglieder den Zehnten geben. Das beruht auf einem Missverständnis: Der Zehnte in der Bibel war keine freiwillige Spende, sondern eine Art Mehrwertsteuer auf landwirtschaftliche Produkte, die dem Tempel zugutekam. Theoretisch war jeder Jude dazu verpflichtet, aber man konnte sich leicht davor drücken, weil es keine Möglichkeit zur Kontrolle gab. Einige fanden das nicht in Ordnung und gründeten die Partei der Pharisäer, dessen Hauptaufgabe es war, die Mehrwertsteuer zu zahlen: "Wir versteuern unsre Ernte und kaufen Lebensmittel nur bei denen, die den Zehnten abführen", also bei Parteifreunden. Der Pharisäer in Lukas 18,9-14 tut noch mehr: Er gibt den Zehnten von allem, was er hat, nicht nur von landwirtschaftlichen Erträgen. Gott aber will nicht unser Geld, sondern er will uns. Das hat Jesus gemeint, wenn er sagte: "Gebt Gott, was Gottes ist". (Markus 12,17).

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner