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Monatsspruch Oktober 2011 – Wie kann ein Mensch gerecht sein vor Gott? (Hiob 4,17)

Erschienen in Neues aus den Ortsvereinen von Heinrich Tischner 30 September, 2011

Liebe Leserin, lieber Leser,

kennst du das auch? Es gibt Menschen, die haben immer was zu meckern. Denen kann man nichts recht machen. Nie hört man ein anerkennendes Wort, immer nur vernichtende Kritik. Da braucht man ein starkes Selbstbewusstsein und ein dickes Fell, wenn man das auf die Dauer aushalten und sich nicht entmutigen lassen will.

So stellen sich viele Menschen Gott vor: Auch ihm kann man nichts recht machen, er guckt uns genau auf die Finger und schreibt kleinlich jeden Fehler auf, um uns am Jüngsten Tag die Abrechnung zu präsentieren: "7.231.375,48 Sünden, aber nur 3.572,36 gute Werke, das gibt 348.728.503 Jahre und 5 Tage Fegefeuer."

Ähnlich, nur nicht so aufs Komma genau, argumentiert Elifas, der Freund Hiobs: "Wie kann ein Mensch gerecht sein vor Gott? Siehe, seinen Dienern traut er nicht, und seinen Boten wirft er Torheit vor: wie viel mehr denen, die in Lehmhäusern wohnen und auf Staub gegründet sind und wie Motten zerdrückt werden!" Warum sollte Gott anders sein als ein misstrauischer menschlicher Chef? Wir fürchten nicht zu Unrecht den Zorn der Mächtigen und neigen dazu, diese Erfahrung auf Gott zu übertragen.

Heute denken wir ganz anders: Der liebe Gott ist ja gar nicht so. Er hat anderes zu tun als Strichlisten zu führen. Den interessiert das doch gar nicht. Vielleicht sind wir ihm ja auch egal. Oder er liebt uns so abgöttisch, dass er sogar unsre dümmsten Fehler und schlimmsten Sünden großartig findet, weil er auf keinen Fall unser Selbstwertgefühl verletzen will. - Diese Erfahrung können moderne Kinder mit ihren Eltern machen.

Zu lasch ist nicht gut und zu streng auch nicht. Ein gesundes Selbstwertgefühl muss auch fähig sein, Kritik einzustecken und Fehler zuzugeben. Da sind ja die heutigen Autoritäten schlechte Vorbilder: "Ich weise diese Vorwürfe entschieden zurück. Ich habe mich korrekt verhalten." … "Es könnte ja sein, dass ich doch etwas falsch gemacht habe, aber nicht mit Absicht." … Und wenn das Fehlverhalten gar nicht mehr zu verschleiern ist, spielt man den Beleidigten, nimmt seinen Hut und geht. "Die anderen sind schuld. Nicht ich."

Was mir persönlich zu schaffen macht, ist nicht die Vorstellung von einem strafenden Gott, sondern mein Gewissen. Jetzt im Alter denke ich oft über mein Leben nach und die vielen Gelegenheiten, wo ich mich falsch verhalten habe. Und nicht bloß vor Jahrzehnten, sondern auch neulich wieder. Du kannst mir glauben, das waren Kleinigkeiten und keine Verbrechen. Aber ich bin halt mal so erzogen und habe mir selbst Werte zu eigen gemacht, dass ich nicht anders kann als mir diese Selbstvorwürfe anhören. Was habe ich dem entgegen zu setzen? Leugnen wie ein kleiner Bub oder ein Verbrecher vor Gericht geht vor dieser Instanz nicht. Da hilft es nur, mir selbst gegenüber ehrlich zu sein und zu sagen: "Okay, das war nicht in Ordnung."

Und Gott? Ich berufe mich dann immer wieder auf 1. Johannes 3,19.20: "… und können unser Herz vor ihm damit zum Schweigen bringen, dass, wenn uns unser Herz verdammt, Gott größer ist als unser Herz und erkennt alle Dinge." Gott ist größer als unser kleinliches Herz. Gott sei Dank!

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner