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Monatsspruch September 2012 – Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der HERR, und nicht auch ein Gott, der ferne ist? (Jeremia 23,23)

Erschienen in Neues aus den Ortsvereinen von Heinrich Tischner 1 September, 2012

Liebe Leserin, lieber Leser,

der Monatsspruch führt uns in ein Kapitel, in dem Argumente gegen Propheten mit abweichenden Aussagen zusammengestellt sind: Jeremia predigt den Zorn Gottes, seine Gegner die Liebe Gottes. Auch ich glaube ja an Gottes Liebe, davon habe ich selbst oft genug gepredigt und stehe dazu. Aber man wenn eine Wahrheit verallgemeinert, wird sie falsch: "Der Mond ist rund" - ja, im Prinzip, aber wir sehen ihn nicht immer in seiner vollen Gestalt. "Gott ist Liebe" - grundsätzlich ja, aber manchmal ist er auch zornig. Meine Eltern haben es mir vormacht: Ich erlebte sie mal lieb, mal böse. Und wusste doch, dass ihre Liebe zu mir unwandelbar war. Schon Kinder können das verstehen.

Was treibt Jeremia dazu, die Meinung anderer Menschen zu bekämpfen? Es ging ihm nicht um allgemeine Wahrheiten und religiöse Spekulationen, sondern um die Frage: Wie sollen wir uns in diesem oder jenem Fall verhalten? Atomkraft oder erneuerbare Energien? Das schien letztes Jahr alles so einfach zu sein. Jetzt merken wir, wie schwierig eine Energiewende ist. Und haben vielleicht vor lauter Prinzipienreiterei vergessen zu fragen: Wozu brauchen wir immer mehr Energie? Früher kamen wir doch auch mit weniger zurecht. Das sind Fragen mit weit reichender Bedeutung, deren Folgen wir kaum abschätzen können. Wenn heute ein Jeremia käme und sagte: "Wenn ihr so und so handelt, wird das und das passieren"? Dann hätte er einen schweren Stand, weil er eigentlich nichts zu sagen hat und sich mit den mächtigen Interessenvertretern anlegt. So war es auch damals.

Jeremia nennt uns ein paar Gesichtspunkte, die uns weiterhelfen können:

  1. Verwechselt nicht eure Träume und Wunschvorstellungen mit Gottes Willen und gebt nichts auf schön klingende Worte. "Wahrheit hat allezeit rumort; falsche Lehren haben allezeit Friede und Friede gesagt." (Luther).
  2. Der Mensch denkt und Gott lenkt. Auch unsre klügsten Planungen können scheitern. Die richtigen Entscheidungen können wir nur im Einklang mit Gott treffen - nicht Mäuschen spielen bei den himmlischen Beratungen, sondern lernen, auf unsre innere Stimme zu hören.
  3. Wir Menschen sind kurzsichtig. Wir können kaum über unsern Tellerrand schauen, meckern aber, dass die Suppe zu heiß oder zu kalt ist. Gott sieht die Welt nicht hinterm Suppenteller, sondern von oben. Er hat von dort einen besseren Überblick und kann eher entscheiden, was für das Ganze gut oder schlecht ist. Ja noch mehr: Er "erfüllt Himmel und Erde", den fernsten Stern genauso wie mein Herz.

In diesem Zusammenhang müssen wir wohl den Monatsspruch verstehen: Gott ist nicht kursichtig. Er ist nicht nur nahe, bei meinen Interessen, bei denen des Gottesvolkes, sondern auch weit und kennt und bedenkt auch die Bedürfnisse der Menschen auf den Antipodeninseln am entgegengesetzten Ende des Globus, der Christen wie der Muslime, der Atheisten wie der Fundamentalisten, der Mikroben wie der Blauwale, der Sandkorns wie des ganzen Planeten. Wer bin ich denn, dass ich Sonderwünsche äußern dürfte? Vor Gott werde ich ganz klein und demütig.

Die Liebe Gottes besteht nicht darin, dass er alles für mich tut, dass er mir und anderen Lieblingskindern warme Kleider anzieht, wenn's uns kalt ist. Nein, er stellt einen Ofen auf, an dem sich alle wärmen können: seine Liebe. Wer trotzdem friert, ist selbst dran schuld.

Menschenskind, komm her an den Ofen der Liebe Gottes! Erkenne deinen Platz im Universum, werde demütig und lerne die Welt und die Menschen mit den Augen Gottes zu sehen.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner