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Monatsspruch Juni 2013 – Gott hat sich selbst nicht unbezeugt gelassen, hat viel Gutes getan und euch vom Himmel Regen und fruchtbare Zeiten gegeben, hat euch ernährt und eure Herzen mit Freude erfüllt. (Apostelgeschichte 14,17)

Erschienen in Neues aus den Ortsvereinen von Heinrich Tischner 1 Juni, 2013

Liebe Leserin, lieber Leser,

Gottfried Kellers Novelle "Kleider machen Leute" erzählt von einem Schneider, der erst für einen Grafen gehalten und dann als Hochstapler verdächtigt wird. Ähnlich erging es Paulus und Barnabas in einem Provinznest in Lykaonien: Die Einwohner hielten sie für Götter und trafen Anstalten ihnen zu opfern. Die beiden Missionare merkten erst spät, was da vor sich ging und konnten die Leute kaum vom Opfern abhalten.

Paulus sagte ein paar Worte, eine kurze Missionspredigt, ganz typisch für die damalige Zeit: "Ihr glaubt an viele Götter und habt doch eine Ahnung von dem wahren Gott, den wir verkündigen. Denn an seinen Werken könnt ihr ihn erkennen." Das konnte sicher jeder bejahen, denn auch die Heiden sahen in den Vorgängen der Natur das Wirken einer Gottheit. Sie glaubten an viele Götter und sahen das nicht so eng. Ob der Wettergott persönlich den Regen schickte oder einer seiner Untergebenen, konnte man nicht wissen. Das Neue, das Paulus brachte war: Es gibt nur einen Gott, den Schöpfer, und dem verdanken wir die Segnungen der Natur: eine kleine Korrektur an der allgemeinen Überzeugung.

Können wir das auch so sehen? Es gibt auch heute Menschen, die suchen Gott nicht in steinernen Gebäuden, sondern in der Natur. Der Wettergott wird gern zitiert, wenn es bei einer Veranstaltung im Freien trocken blieb. Glaube? Aberglaube? Oder nur eine Redensart?

Wie ein Wettergott entscheidet, lässt sich so wenig voraussagen wie unsre eigenen Launen. Die Wetterämter aber berechnen auf Tage im Voraus genau, ob's regnet oder die Sonne scheint. Wir glauben, dass das Wetter nicht von einem Gott gemacht wird, sondern ein natürlicher Vorgang ist, an dem viele Faktoren mitwirken, ungefähr voraussagbar, im Grunde aber chaotisch. Das ist reiner Zufall, kein guter oder böser Wille.

Genau hier ist unser Glaube gefragt: Ist alles Zufall oder verbirgt sich hinter dem, was wir erleben, vielleicht doch irgendwo eine Absicht, ein Plan, ein Programm, Gottes guter Wille? Müssen selbst nüchterne Naturwissenschaftler kapitulieren, wenn sie von der "Natur" oder der "Evolution" reden, als sei das eine Göttin? Das von der Naturwissenschaft geforderte nüchterne mathematische Denken lässt uns geistig verarmen. Wir sehen dann nur noch, was sich berechnen lässt, und werden blind dafür, dass das wirkliche Leben bunter und vielfältiger ist. Kann nüchternes Denken verstehen, was Liebe ist? Sind das nur die Hormone? Kann es ein Kunstwerk, ein Gedicht begreifen? Es kann noch nicht einmal beweisen, dass Michael Jackson gelebt hat, weil sich auch geschichtliche Fakten nicht berechnen lassen. Ich kannte den Musiker nicht persönlich und muss "glauben", was von ihm berichtet wird.

Sind wir überhaupt noch in der Lage etwas wahrzunehmen? Die Bäume sind grün. Der Apfelbaum blüht. Auf dem Erdhaufen spaziert eine Krähe. Eine Amsel hüpft auf dem Rasen. Naturwissenschaft beginnt nicht mit Darwin und Einstein, sondern mit der Beobachtung. Und mit dem Empfinden. Ich freue mich über den Frühling und singe: "Wie lieblich ist der Maien… Herr, dir sei Lob und Ehre für solche Gaben dein!" (Gesangbuch 501). Ich weiß, bei wem ich mich bedanken kann für all diese Schönheit, die ich sehe.

Gott lässt sich auch heute "nicht unbezeugt", wenn wir die Augen offen halten und unser Herz öffnen.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner