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Monatsspruch September 2013 – Seid nicht bekümmert; denn die Freude am H<span class=“kapitaelchen“>errn</span> ist eure Stärke. (Nehemia 8,10)

Erschienen in Neues aus den Ortsvereinen von Heinrich Tischner 1 September, 2013

Liebe Leserin, lieber Leser,

ein denkwürdiger Augenblick: Die "babylonische Gefangenschaft", das Exil, ist zu Ende. Der Priester Esra kehrt mit 50.000 Juden aus Babylonien zurück. Sie bauen Jerusalem wieder auf. Esra hatte einen Spezialauftrag der persischen Regierung: den Neubau des Tempels organisieren und eine Rechtsordnung schaffen nach dem "Gesetz deines Gottes". Esra beruft eine Volksversammlung ein und verkündigt das Gesetz des Mose, die Thora. Das heißt er liest sie vor und setzt sie in Kraft.

Wie würden wir reagieren, wenn EU, Bundestag, Kirchensynode, Papst oder CVJM heute fordern würden: kein Schweinefleisch, Milch- und Fleischprodukte nie gemeinsam auf den Tisch, keine Mischehen mit Ausländern oder Andersgläubigen, Abschaffung der Zinsen, Todesstrafe für Ehebruch und Gotteslästerung…? Das hätte uns gerade noch gefehlt!

Wie haben die Juden reagiert? Begeistert waren sie nicht. Sie weinten. Warum? Trauerten sie der verlorenen Freiheit nach? Oder war das ein Zeichen der Reue, dass sie bisher nicht nach den Weisungen Gottes gelebt hatten. Oder Tränen der Rührung, weil sie jetzt endlich wieder im eigenen Land nach eigenen Gesetzen leben durften. Esra sagte am Ende seiner Rede: Dieser Tag ist kein Volkstrauertag, sondern ein Freudentag. "Seid nicht bekümmert; denn die Freude am (Gesetz des) Herrn ist eure Stärke."

Bei uns ist der 23. Mai "Tag des Grundgesetzes". Da sind die öffentlichen Gebäude beflaggt, aber kaum einer feiert und freut sich. Die meisten wissen gar nichts von diesem Tag. Aber eigentlich sind wir doch ganz froh für unsre freiheitlich-demokratische Grundordnung, in der die Menschenrechte festgeschrieben sind, und an der sich jedes Gesetz, jede Verordnung, jeder Erlass und jedes Gerichtsurteil messen lassen muss.

Für den Glauben ist die Bibel das Grundgesetz. Theoretisch. Und praktisch? Da wird's schwierig: Die Todesstrafe ist abgeschafft. Gotteslästerung und Ehebruch werden nicht mehr bestraft - nicht weil's erlaubt oder gar erwünscht wäre, sondern weil der Staat die Meinungsfreiheit achtet und nicht auf Verleumdungen reagieren will. Die Speisevorschriften sind schon im Neuen Testament außer Kraft gesetzt. Sogar die Zehn Gebote gelten für einen Christen nicht mehr uneingeschränkt: "Du sollst dir kein Bild machen" steht nicht mehr im lutherischen und katholischen Katechismus. Der Sabbat ist durch den Sonntag ersetzt, und der ist "Feiertag", kein Tag, an dem fast alles verboten ist.

Kann man so mit dem "Gesetz Gottes" umgehen, dass man es für ungültig erklärt? Schon Jesus musste sich damit beschäftigen. Er unterscheidet zwischen der Thora und späteren Ergänzungen und fragt sogar zurück nach dem ursprünglichen Willen Gottes. Den findet er im Liebesgebot. Das ist das christliche Grundgesetz, und nichts anderes.

Damit sind die damaligen und heutigen Gesetze nicht überflüssig. Straßenverkehrsordnung, Erbrecht, kirchliche Lebensordnung, Satzung des CVJM… all das muss irgendwie geregelt sein. Ist aber nicht der ausdrückliche Wille Gottes und muss sich genauso vom Liebesgebot hinterfragen lassen wie die Thora.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner